Obdachlosigkeit im Sommer

Eigentlich würde eine Packung Käse für eine ganze Woche reichen, wenn man sie sich etwas einteilt, ein, zwei Scheiben am Tag. Als Obdachloser muss man oft planen, sich genau ausrechnen, wann man was isst oder trinkt. Nur geht das nicht, wenn es 35 Grad warm ist. Der Boden kann die meiste Zeit des Jahres als Kühlschrank dienen, aber im Sommer versagt er. Was man einkauft, verdirbt bei der Hitze.

Mit 16 Jahren wurde ich obdachlos, die nächsten zehn Jahre habe ich immer wieder auf Platte gelebt, so nennt man es, wenn man sein Zuhause auf der Straße hat. Heute habe ich wieder eine Wohnung. Ich kann es wertschätzen, all das zu haben: eine Tür, die ich hinter mir zumachen kann, mein Badezimmer, Leitungswasser. Gerade jetzt im Sommer.

Der Sommer ist für Obdachlose ein harter Gegner. Was andere mit Ferien, Campingurlaub und lauen Nächten verbinden, macht einen fertig, wenn man keine Wohnung hat. Es gibt keine Pause von der Straße, und warmes Wetter bedeutet zwar, nicht frieren zu müssen. Aber es bringt auch genug andere Probleme mit sich, die ebenso schwerwiegend sind.

Im Winter steht diese eine Sache über allen anderen Dingen: nicht erfrieren. Deshalb gibt es im Winter Hilfsangebote, wenn es besonders kalt wird: Es werden extra Schlafplätze geschaffen, es gibt eigens für diese Jahreszeit ins Leben gerufene Angebote, den Kältebus zum Beispiel. Im Sommer haben manche Einrichtungen für Obdachlose geschlossen, auch Ehrenamtliche sind oft an Schulferien gebunden und machen da ihren Urlaub.

Während im Winter Suppenküchen dafür sorgen, dass die Leute an kalten Tagen etwas Warmes im Bauch haben, gibt es im Sommer viel weniger Möglichkeiten, frisches Essen zu bekommen. Früchte und Obst sind zu teuer. So etwas wird selten ausgegeben. Dabei wäre es wichtig bei diesem Wetter, denn bei Hitze und dauerhaftem Schwitzen verliert der Körper viel Flüssigkeit und Elektrolyte.

Im Sommer sind die Probleme auf der Straße vielfältiger als im Winter, man muss sich um viel mehr sorgen als nur um die Kälte. Die Sonne kann zu schlimmen Sonnenbränden und Verbrennungen führen. Sonnencreme ist ein Luxusartikel auf der Straße, deshalb tragen viele Obdachlose lange Kleidung. Darunter aber schwitzen sie und dehydrieren leichter. Die Kleiderschichten führen auch dazu, dass keine Luft an Wunden gelangen kann. Im Sommer platzen Stellen häufiger wieder auf oder vereitern. Durch die Hitze und die dicken Kleider ist der Körper darunter eine Brutstätte für Bakterien.

Bei manchen kommt es zu starken Infektionen und im Herbst muss dann ein Teil des Körpers amputiert werden. Im Winter verliert man sein Leben, im Sommer vielleicht ein Bein.

Überhaupt, die Hygiene. Immer ein großes Thema in der Obdachlosigkeit. Im Sommer aber besonders.

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In meiner Heimatstadt Hamburg gibt es geschätzt 2000 Obdachlose und es stehen grade einmal knapp über 20 Duschplätze für Obdachlose zur Verfügung. Diese Angebote sind oft sehr hochschwellig. Bei manchen Einrichtungen muss man zwischen 50 Cent und 1,50 Euro Eintritt bezahlen. Das mag wenig klingen, aber wenn man dann noch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen muss um dorthin zu kommen, ist für eine Dusche Geld weg, mit dem man sonst einen Tag über die Runden gekommen wäre. In meiner Wohnung gehe ich an heißen Tagen gerne auch zweimal duschen. Dann duschen, wenn man sich danach fühlt, das gibt es nicht auf der Straße.

Viele öffentliche Einrichtungen haben eine lange Warteliste. Aus manchen Duschen kommt nur eiskaltes Wasser, andere sind gleich ganz defekt. Alle haben Öffnungszeiten. Im Sommer sind viele dieser Angebote geschlossen.

Man versucht auf öffentlichen Toiletten oder in Bars und Restaurants so etwas wie Katzenwäsche zu machen. Oft wird man unfreundlich herausgeschrien.

Waschen ist Würde. Das ist mir sehr klar geworden, denn das äußerliche Erscheinungsbild ist das erste Unterscheidungsmerkmal. Wer immer dreckig ist, wer so oft wie Dreck angeguckt wird, fühlt sich irgendwann wie Dreck. Auf der Straße geht alles verloren, auch das Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein. Darum sind die langen Klamotten nicht nur Schutz vor der Sonne, sondern auch Schutz vor den anderen Menschen.

Man kann vieles verstecken, nur seine Scham nicht. So entfernt man sich immer weiter und zieht sich zurück an einen der letzten Orte, die einem bleiben, die Klamotten. Die Kapuze über den Kopf. Das letzte Versteck.

Als Obdachloser hat man keinen Kleiderschrank und keine großen Vorräte an Wechselklamotten, die man anziehen kann, wenn man durchgeschwitzt ist. Besondere Mangelware auf der Straße ist Unterwäsche, denn die wird nicht so häufig gespendet. Dem schweißtreibenden Sommerwetter ist das leider egal. In der Hitze fließt der Schweiß in jede Ritze.

Der Sommer ist auf der Straße auch psychologisch schwer zu ertragen. Im Winter gibt es viel mehr Hilfsangebote, im Sommer muss man mit dem meisten selber klarkommen. Die Hitze steigt einem oft zu Kopf, der Stress des Tages klebt an einem wie der Schweiß und die Klamotten, und mit ihm Frust, Wut und Verzweiflung. Gleichzeitig muss man aus dem Abseits glücklichen Menschen dabei zusehen, wie sie gemeinsam eine schöne Zeit miteinander verbringen. Durch den November-Schneeregen laufen alle Menschen frierend und mit kalten Blicken. Im Sommer ist man als Obdachloser umgeben von Menschen, die zusammen lachen. Sie haben Spaß, genießen das Wetter, fahren mit der Picknickdecke auf dem Gepäckträger des Fahrrads durch die Stadt, die vom Baden nassen Haare trocknen im Fahrtwind. Und dann merkt man, was einem wirklich fehlt: Lebensfreude. Die Wege der Straße führen in die Einsamkeit.

Deshalb sind die kleinen Gesten der Hilfe so wichtig. Weil sie denen auf der Straße zeigen, dass sie nicht ganz alleine sind. Dass sie gesehen werden. Und es ist ganz einfach, zu helfen: Bei Hitze rettet Wasser Leben. Einen Wasserhahn und ein paar leere Flaschen hat jeder.

Verschenken wir auch mal ein Eis oder eine kaltes Getränk an heißen Tagen und teilen mit den Menschen ein bisschen von unserem Glück und geben ihnen etwas das man sich sonst nur vorstellt. Einen kleinen Geschmack des Sommers.

Jetzt, Ende August, ist das schlimmste Hitze vorüber, langsam geht es in die nächste Jahreszeit über. Die ersten Blätter liegen auf der Straße und es regnet immer häufiger. Viele Gewitter ziehen auf und Schauer kommen runter. Der Baum der eben noch Schatten gespendet hat, hält nun den größten Regen ab. Nass wird man trotzdem immer und so kleben die Klamotten wieder an der Haut.

Der Schweiß, der sich darunter staut, lässt einen noch mehr riechen. Kommt dann noch die schwüle Luft, ist das eine unangenehme Mischung. Mit dem Herbst gehen die Probleme des Sommers und viele neue kommen hinzu.

Autor: Dominik Bloh

Fotos: Titelbild © Niels Weichert // Textbild © Dominik Bloh

Eigentlich würde eine Packung Käse für eine ganze Woche reichen, wenn man sie sich etwas einteilt, ein, zwei Scheiben am Tag. Als Obdachloser muss man oft planen, sich genau ausrechnen, wann man was isst oder trinkt. Nur geht das nicht, wenn es 35 Grad warm ist. Der Boden kann die meiste Zeit des Jahres als Kühlschrank dienen, aber im Sommer versagt er. Was man einkauft, verdirbt bei der Hitze.

Mit 16 Jahren wurde ich obdachlos, die nächsten zehn Jahre habe ich immer wieder auf Platte gelebt, so nennt man es, wenn man sein Zuhause auf der Straße hat. Heute habe ich wieder eine Wohnung. Ich kann es wertschätzen, all das zu haben: eine Tür, die ich hinter mir zumachen kann, mein Badezimmer, Leitungswasser. Gerade jetzt im Sommer.

Der Sommer ist für Obdachlose ein harter Gegner. Was andere mit Ferien, Campingurlaub und lauen Nächten verbinden, macht einen fertig, wenn man keine Wohnung hat. Es gibt keine Pause von der Straße, und warmes Wetter bedeutet zwar, nicht frieren zu müssen. Aber es bringt auch genug andere Probleme mit sich, die ebenso schwerwiegend sind.

Im Winter steht diese eine Sache über allen anderen Dingen: nicht erfrieren. Deshalb gibt es im Winter Hilfsangebote, wenn es besonders kalt wird: Es werden extra Schlafplätze geschaffen, es gibt eigens für diese Jahreszeit ins Leben gerufene Angebote, den Kältebus zum Beispiel. Im Sommer haben manche Einrichtungen für Obdachlose geschlossen, auch Ehrenamtliche sind oft an Schulferien gebunden und machen da ihren Urlaub. Während im Winter Suppenküchen dafür sorgen, dass die Leute an kalten Tagen etwas Warmes im Bauch haben, gibt es im Sommer viel weniger Möglichkeiten, frisches Essen zu bekommen. Früchte und Obst sind zu teuer. So etwas wird selten ausgegeben. Dabei wäre es wichtig bei diesem Wetter, denn bei Hitze und dauerhaftem Schwitzen verliert der Körper viel Flüssigkeit und Elektrolyte.

Im Sommer sind die Probleme auf der Straße vielfältiger als im Winter, man muss sich um viel mehr sorgen als nur um die Kälte. Die Sonne kann zu schlimmen Sonnenbränden und Verbrennungen führen. Sonnencreme ist ein Luxusartikel auf der Straße, deshalb tragen viele Obdachlose lange Kleidung. Darunter aber schwitzen sie und dehydrieren leichter. Die Kleiderschichten führen auch dazu, dass keine Luft an Wunden gelangen kann. Im Sommer platzen Stellen häufiger wieder auf oder vereitern. Durch die Hitze und die dicken Kleider ist der Körper darunter eine Brutstätte für Bakterien.

Bei manchen kommt es zu starken Infektionen und im Herbst muss dann ein Teil des Körpers amputiert werden. Im Winter verliert man sein Leben, im Sommer vielleicht ein Bein.

Überhaupt, die Hygiene. Immer ein großes Thema in der Obdachlosigkeit. Im Sommer aber besonders.

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In meiner Heimatstadt Hamburg gibt es geschätzt 2000 Obdachlose und es stehen grade einmal knapp über 20 Duschplätze für Obdachlose zur Verfügung. Diese Angebote sind oft sehr hochschwellig. Bei manchen Einrichtungen muss man zwischen 50 Cent und 1,50 Euro Eintritt bezahlen. Das mag wenig klingen, aber wenn man dann noch die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen muss um dorthin zu kommen, ist für eine Dusche Geld weg, mit dem man sonst einen Tag über die Runden gekommen wäre. In meiner Wohnung gehe ich an heißen Tagen gerne auch zweimal duschen. Dann duschen, wenn man sich danach fühlt, das gibt es nicht auf der Straße.

Viele öffentliche Einrichtungen haben eine lange Warteliste. Aus manchen Duschen kommt nur eiskaltes Wasser, andere sind gleich ganz defekt. Alle haben Öffnungszeiten. Im Sommer sind viele dieser Angebote geschlossen.

Man versucht auf öffentlichen Toiletten oder in Bars und Restaurants so etwas wie Katzenwäsche zu machen. Oft wird man unfreundlich herausgeschrien.

Waschen ist Würde. Das ist mir sehr klar geworden, denn das äußerliche Erscheinungsbild ist das erste Unterscheidungsmerkmal. Wer immer dreckig ist, wer so oft wie Dreck angeguckt wird, fühlt sich irgendwann wie Dreck. Auf der Straße geht alles verloren, auch das Selbstwertgefühl, das Selbstbewusstsein. Darum sind die langen Klamotten nicht nur Schutz vor der Sonne, sondern auch Schutz vor den anderen Menschen.

Man kann vieles verstecken, nur seine Scham nicht. So entfernt man sich immer weiter und zieht sich zurück an einen der letzten Orte, die einem bleiben, die Klamotten. Die Kapuze über den Kopf. Das letzte Versteck.

Als Obdachloser hat man keinen Kleiderschrank und keine großen Vorräte an Wechselklamotten, die man anziehen kann, wenn man durchgeschwitzt ist. Besondere Mangelware auf der Straße ist Unterwäsche, denn die wird nicht so häufig gespendet. Dem schweißtreibenden Sommerwetter ist das leider egal. In der Hitze fließt der Schweiß in jede Ritze.

Der Sommer ist auf der Straße auch psychologisch schwer zu ertragen. Im Winter gibt es viel mehr Hilfsangebote, im Sommer muss man mit dem meisten selber klarkommen. Die Hitze steigt einem oft zu Kopf, der Stress des Tages klebt an einem wie der Schweiß und die Klamotten, und mit ihm Frust, Wut und Verzweiflung. Gleichzeitig muss man aus dem Abseits glücklichen Menschen dabei zusehen, wie sie gemeinsam eine schöne Zeit miteinander verbringen. Durch den November-Schneeregen laufen alle Menschen frierend und mit kalten Blicken. Im Sommer ist man als Obdachloser umgeben von Menschen, die zusammen lachen. Sie haben Spaß, genießen das Wetter, fahren mit der Picknickdecke auf dem Gepäckträger des Fahrrads durch die Stadt, die vom Baden nassen Haare trocknen im Fahrtwind. Und dann merkt man, was einem wirklich fehlt: Lebensfreude. Die Wege der Straße führen in die Einsamkeit.

Deshalb sind die kleinen Gesten der Hilfe so wichtig. Weil sie denen auf der Straße zeigen, dass sie nicht ganz alleine sind. Dass sie gesehen werden. Und es ist ganz einfach, zu helfen: Bei Hitze rettet Wasser Leben. Einen Wasserhahn und ein paar leere Flaschen hat jeder.

Verschenken wir auch mal ein Eis oder eine kaltes Getränk an heißen Tagen und teilen mit den Menschen ein bisschen von unserem Glück und geben ihnen etwas das man sich sonst nur vorstellt. Einen kleinen Geschmack des Sommers.

Jetzt, Ende August, ist das schlimmste Hitze vorüber, langsam geht es in die nächste Jahreszeit über. Die ersten Blätter liegen auf der Straße und es regnet immer häufiger. Viele Gewitter ziehen auf und Schauer kommen runter. Der Baum der eben noch Schatten gespendet hat, hält nun den größten Regen ab. Nass wird man trotzdem immer und so kleben die Klamotten wieder an der Haut.

Der Schweiß, der sich darunter staut, lässt einen noch mehr riechen. Kommt dann noch die schwüle Luft, ist das eine unangenehme Mischung. Mit dem Herbst gehen die Probleme des Sommers und viele neue kommen hinzu.

Autor: Dominik Bloh