Angie

Ich stand draußen vor der Pizzaria, ohne Feuer. Ich sah jemanden um die Ecke mit einem Feuerzeug. Die Frau saß im Rollstuhl und hielt mir ihres entgegen. Bis dahin wusste ich nur, dass sie da war.

Zum ersten Mal sehe ich richtig hin. Ich zünde mir die Zigarette an und reiche ihr das Feuerzeug zurück.

Ihre Haare sind klitschnass, genau so ihre Klamotten. Ihre Schminke ist verschmiert, nicht vom Regen, sondern von ihren Tränen. Ihr Gepäck steht unter Wasser. Darunter versteckt entdeckte ich noch ein kleines Wollknäuel.

Zum ersten Mal kommt ein Lachen auf ihre Lippen als sie bemerkt, dass ich den Hund sehe. Ihre Stimme spricht mit Freude: »Das ist Minka«, sagt sie.

Ich stelle mich den beiden vor und frage, warum sie so nass ist, da fängt sie wieder an zu schluchzen und erzählte mir, wie sie im Park eingeschlafen ist. Das Gewitter kam und alle sind gegangen. Sie war diejenige, die man buchstäblich im Regen stehen gelassen hat.

Sie friert und wir entscheiden reinzugehen. Ich bringe sie mit zu dem Tisch, an dem die Reporterin bereits ihr Eqiuipment aufgebaut hat. Ich bin hier mit ihr für ein Interview verabredet. Wir erklären, was passiert ist, dann essen wir alle Pizza und trinken heiße Getränke.
Sie erzählt von ihren Problemen im Rollstuhl. Wie schwer es ist ihre Sachen zu transportieren. Das sie nicht immer auf Toilette gehen kann wenn sie muss, dasselbe gilt für´s Waschen. Ich denke an den Duschbus und das wir extra eine barrierefrei Kabine einbauen, damit jeder das Badezimmer benutzen kann.

Sie sagt, dass die Leute bei ihr oft ablehnend sind weil sie alles Schlimme, was sie verdrängen, in einer Person sehen können. So wie sie leben muss will es niemand. Sie wird weitermachen, bis es vorbei ist. Es tut ihr gut zu quatschen. Das hilft für einen kurzen Moment, doch ein Blick auf den Boden reicht um zu sehen, dass ihr noch Einiges bevorsteht. Es tropft von überall und wird zu einer großen Pfütze. Ich gebe ihr Geld für den Trockner und wir qualmen noch eine draußen.

Ich schreibe einen Text über unsere Begegnung. Daraufhin meldet sich ein paar Wochen später jemand und bietet an, Angie bei der Suche nach einer barrierefreien Wohnung zu helfen.

Am liebsten will ich ihr sofort von der tollen Neuigkeit erzählen. Es dauert eine Weile bis ich sie auf der Reeperbahn wieder treffe. Sie hat einen Becher in der Hand, Minka sitzt unter dem Korb der hinten am Rollstuhl befestigt ist und in dem ihr Gepäck gelagert ist.

Wir reden ein bisschen. Immer mehr muss ich überlegen. Ich bin plötzlich unsicher, ob ich ihr von der Nachricht erzählen sollte.

Bis hin zu den eigenen Schlüsseln ist es ein weiter Weg auf dem viel passieren kann. Wir haben das beide oft genug erlebt um uns keine falschen Hoffnungen zu machen. Trotzdem sehe ich einen Funken durch ihre Augen blitzen.

Wochen vergehen, Monate vergehen. Wir haben die Person kontaktiert, doch es meldet sich niemand mehr. Ich muss Angie sagen, dass es nicht klappt. Ich spüre ihre Trauer, doch sie behält die Fassung. Es ist etwas viel schlimmeres passiert. Ihr wurde Minka weggenommen. Jemand hat sie geklaut.

Ich möchte ihr wenigstens jetzt etwas gutes tun. Sie hatte Lust auf Currywurst mit Pommes. Ich besorge Essen und gebe ihr noch Geld. Ich würde so gern mehr für sie tun.

Sie liegt unter einer Decke auf ihrer Platte. Sie lag da schon am Mittag und schlief. Das muss sie wohl bis abends getan haben, bis genau in dem Moment, als ich wieder bei ihr stehe. Sie sieht gar nicht gut aus. Ihre Augen aufgerissen ruft sie nach etwas zu trinken. Ich gebe ihr meinen letzten Schluck. Sie war durstig und wollte gerne eine Cola. Im Kiosk hole ich ihr eine Flasche und bringe sie zu ihrem Platz.

Es ist schwer vorstellbar wie viel Schmerz manche Menschen ertragen ohne daran einzugehen. In dem Moment leide ich. Mir tut es weh sie so zu sehen. Ich erinnere mich noch an das was Angie beim Abschied unserer ersten Begegnung sagte: »Das Lachen darf man nie verlieren, sonst hat man nichts mehr.«

Der Weg raus ist positiv bleiben. Ich hoffe sie kriegt noch eine Chance.

 

Bei Klick auf folgenden Link gelangt ihr zum Deutschlandfunk Nova Interview, bei dem Dominik »Angie« kennengelernt hat.

Autor: Dominik Bloh

Fotos: Titelbild © Julia Schwendner, Fließtext © Dominik Bloh